(Wer nicht viel lesen mag, aber gerne Fotos anschaut: Am Ende des Beitrags folgt eine ganze Auswahl an analogen Schweden-Fotos, die in unserem ersten Sommer hier entstanden sind) Wenn ich zurück denke an Ende Juni 2023, dann ist es für mich selbst kaum vorstellbar, was sich alles in diesem einen Jahr getan hat. Juni 2023: Unser großes Abschiedsfest war gerade vorbei, die Kisten in der Wohnung noch mehr oder weniger ungepackt, mein Mann und ich, wir haben beide bis zwei Tage vor Abreise am 17. Juli gearbeitet, die Kinder waren in der KiTa. Es war eine emotionale Achterbahn und gleichzeitig gab es so viel zu erledigen. Ich erinnere meine Tränen bei der KiTa-Verabschiedung, meine Nervosität, was das Packen angeht, die ständige Frage: Wie wird das alles, vor allem für unsere Kinder?

Warum lassen wir alles, was wir uns aufgebaut haben, einen unbeschreiblich wertvollen Freundeskreis, unsere Babysitterin, den Musikkurs, das Kinderturnen, hinter uns; warum gebe ich all meine selbstständigen Projekte auf und verzichte auf die Hälfte meines Monatseinkommens, zumindest zeitweise? 
Ich kann verstehen, dass es unter Familien nicht geläufig ist, mal eben das Land zu wechseln, denn man bricht eben nicht nur sein Zelt ab, man hinterlässt ein Dorf. Und das ist wohl das, was mir nach einem Jahr in Schweden am meisten zu schaffen macht. Aber darauf komme ich am Ende des Textes noch einmal zurück. 

Am 17. Juli sind wir ins Flugzeug nach Stockholm gestiegen. Wir hatten die letzte Nacht im Hotel geschlafen, unsere Wohnung war leer. Zum Glück muss man sagen, denn der eine oder die andere erinnert viellicht den Umzugskrimi, ich hatte auf Instagram ja einiges dazu geteilt. Da kam einfach alles zusammen, eine LKW-Panne und damit Sonntag morgens um 7 Uhr erstmal die Info, dass der Umzug nicht stattfinden kann. Mein Mann hätte am Samstag von einer Hochzeit in Italien zurückkommen sollen, sein Flug wurde gecancelt. Ich war alleine mit den Kindern, mein Vater war bestellt, um sie zu betreuen, bloß kam eben niemand, um die Wohnung auszuräumen und, schlimmer noch: überhaupt erstmal die Kisten zu packen… 

Irgendwann kamen an besagtem Sonntag letzten Juli dann doch irgendwelche Leute, jeder mit anderen Infos, was es zu tun gibt. Meine Nerven lagen da schon lange blank. Es gab erst nur ein Auto, das hätte nicht gereicht für all unseren Kram, später kam irgendwoher ein zweites, bloß mussten die Umzugshelfer über Nacht alles, wirklich alles, nochmal ausräumen und in das richtige Fahrzeug packen. Es war absolut unvorstellbar. 

Aber egal jetzt. Spät am Sonntag Abend, gegen 23 Uhr, war die Wohnung leer. Wir im Hotel. Ich hatte den ganzen Tag kein mal gesessen, habe ich weiß nicht wie viele Kisten dann doch selbst gepackt. Montag früh kam unsere Putzkraft, wir haben den Schlüssel abgegeben und sind am Nachmittag ins Flugzeug gestiegen. Nach Schweden. Stockholm. In ein neues Land. Sind vom Flughafen mit dem Taxi und zwei Koffern in eine Wohnung gefahren, die wir vorher noch nie gesehen haben, bloß auf Bildern und über einen Video Call.

Die Wohnung war schön, wir haben uns direkt wohl gefühlt. 
Und erste aufregende Tage in unserer neuen Heimat verbracht. Ich glaube, es fing da direkt an, dass es mir täglich schlechter ging. Rückblickend kann ich das Gefühl gar nicht beschreiben. Eine Mischung aus Erschöpfung, Reizüberflutung, Nervosität, Frust über unsere gesamten Sachen, die mit einer knappen Woche Verspätung in Stockholm ankamen, als wir tatsächlich glaubten, die Sachen seien verloren gewesen. Nicht mal ein Air Tag hatten wir mit in den Umzugswagen gelegt, ein Fehler, der mir nie wieder passieren wird.

Letztlich kamen die Möbel und unsere Kisten, mein Mann fuhr auf meinen Wunsch hin schon mit den Kindern vor in das gebuchte Sommerhaus (denn wie hätten wir auspacken sollen mit zwei kleinen Kindern im Gewusel?), während ich zu Hause auspacken wollte. Ein neues Zuhause schaffen, meinen Kindern ihr Kinderzimmer zurückgeben, wenn sie aus dem Ferienhaus zurück kommen würden. Sicherlich habe ich mich übernommen, habe binnen eines Tages eine gesamte Wohnung eingerichtet, mindestens die Hälfte der Kisten ausgepackt, schon Bilder an die Wand gehängt.

Am nächsten Tag fuhr ich nach ins Ferienhaus, und es begann eine kühle, oft verregnete Zeit. Auf den Fotos sehe ich im Nachhinein auch Sonnenschein, blauen Himmel und einen Ort, so perfekt wie man sich Bullerbü vorstellt. Aber mir ging es zunehmend schlechter. Ich habe geweint, war erschöpft, müde, antriebslos. Die Kinder täglich um 5 Uhr wach, und ich habe mich Tag für Tag gefragt, wie ich es schaffen soll, die Energie aufzubringen, um mit ihnen den Tag „rumzukriegen”.

Zurück in Stockholm…
… musste mein Mann wieder arbeiten, ich hatte zwei weitere Wochen unbezahlten Urlaub, um die Zeit zu überbrücken, bis die Kita startete. Mein Mann hat erkannt, dass ich an dem Punkt kaum noch konnte, ich hatte ihn nicht darum gebeten, aber er kam täglich früh nach Hause, hat die Wochenenden mit den Kindern verbracht, während ich tatsächlich einfach zu Hause sein wollte, auf dem Sofa, Balkontür auf, Sonne rein. Ich wollte Ruhe, habe geweint, immer wieder gesagt „wir hatten doch alles“ (in Frankfurt) – als wäre alles von heute auf morgen nicht mehr da. 

Trotz, dass ich mental nicht auf der Höhe war, mussten Trilliarden Sachen erledigt werden, und alle davon haben mich überfordert. Kontoeröffnung, Personalnummerbeantragung, Swish-App-Installation, für die man allerdings ein schwedisches Bankkonto braucht, dafür eine ID-Karte, dafür eine Personennummer. Ich dachte, ich schaffe das alles nie – und das obwohl das schwedische System aufgrund seiner fortgeschrittenen Digitalisierung sicher als eins der einfachen und zugänglichen gilt. Wir mussten uns im Supermarkt zurecht finden, suchten vergeblich Joghurt, fanden ihn irgendwann in Milchtüten; vieles auf den Packungen habe ich nicht verstanden, Bio oft vergeblich gesucht. 

Es hat mir geholfen, ab Mitte August wieder zu arbeiten. 
Die KiTa-Eingewöhnung lief überdurchschnittlich gut. Wir haben uns wohl gefühlt, die Kinder direkt Zugang gefunden dank zwei deutschen Familien mit Kindern im selben Alter. Viellicht war das der Wendepunkt. Arbeit, Routine, nicht mehr ausschließlich Kinderbetreuung rund um die Uhr. Nette deutsche Familien, mit denen wir uns direkt angefreundet haben, irgendwie eine ganz natürliche Verbindung hatten, nämlich die der selben Sprache, der selben Herkunft. 

Das Wetter wurde Ende August nochmal besser, zum Glück: Sonne, ein goldener Herbst, die ersten Familienbesuche, Vertrautheit, gemeinsam mit lieben Leuten diese wunderbare, uns noch so fremde Stadt erkunden. Die erste Bootsfahrt, nochmal ins Archipel, da, wo wir die erste Woche im Sommerhaus verbracht hatten, und jetzt, im September letzten Jahres, beim zweiten Besuch, hat mich die Schönheit hier umgehauen. Ich hatte mich da längst wieder gefangen, mir war klar, dass ich dem Projekt Stockholm einen Versuch geben will. 

Ich fing an, unser neues Leben hier im Norden richtig zu mögen. 
Dank Instagram hatte ich direkt zwei, drei, vier Kontakte (teilweise von Followerinnen vermittelt bekommen, teilweise haben mich die Leute direkt angeschrieben, Motto „hey, ich wohne auch hier“). Daraus ist mindestens eine Freundschaft entstanden und zudem haben wir über wirklich willkürliche und lustige Zufälle weitere Leute kennen gelernt und schließlich neue Freunde gefunden. Ein schwedisches Paar, das im Rosendals Trädgård am selben Tisch mit uns saß; eine deutsch-schwedische Familie, die 300 Meter entfernt wohnt und uns auf dem Spielplatz aufgefallen ist; KiTa-Eltern; ehemalige Bekannte, die mittlerweile selbst Familie haben und in Stockholm leben.

Schnell war mein soziales Umfeld so groß und wertvoll, dass ich mich aufgefangen, willkommen, wohl fühlen konnte. Im November luden wir zu einem Laternenfest-Umtrunk um und fanden plötzlich 50 Leute in unserem Wohnzimmer vor! 

Apropos Wohnzimmer…
Unseren Umzug von Frankfurt nach Schweden hatten wir anscheinend schnell verarbeitet. Anders kann ich mir nicht erklären, dass wir im Oktober erneut umgezogen sind! Ja, richtig gelesen, und zwar nur ein paar Hundert Meter entfernt von unserer ersten Wohnung. Die Gründe dafür habe ich hier erläutert. 

Auch dieser zweite Umzug lief unterirdisch, zumal wir uns tatsächlich vorab entschieden hatten, die neue Wohnung teilweise neu zu streichen UND die Böden abzuschleifen. Es war viel Arbeit, es gab sehr viel Frust und Streit zwischen allen Beteiligten (den Arbeitern, uns und dem Vermieter), aber es hat sich gelohnt und ist lange vergessen. Die neue Wohnung ist ein Ort, an dem ich mir vorstellen kann, viele Jahre zu leben. Wir fühlen uns pudelwohl, nicht nur in der Wohnung, auch mit der Lage. 

Zwischenfazit:
Soziales Umfeld check, Wohnung check. Kindergarten Check. Wir haben Turnkurse gefunden und an Schwimmkursen teilgenommen. Unsere Kinder konnten schon nach einem halben Jahr englisch und schwedisch verstehen und wirklich schon gut sprechen, ein Dank geht hier an den bilingualen Kindergarten, für den ich mich immer wieder entscheiden würde. Wir als Familie haben für uns vier in der Konstellation kein einziges Mal bereut, den Schritt gegangen zu sein. Das Gefühl, was heute, nach einem Jahr, überwiegt, ist: dass wir alle zusammen von dem neuen Leben profitieren, daran wachsen, auch zusammen gewachsen sind.

Es kam die Dunkelheit, das nasse Wetter. 
Rückblickend fand ich den November einen der (wettertechnisch) härtesten Monate. Plötzlich ist es um 15 Uhr dunkel und morgens nicht vor 8.30 Uhr hell. Das Laub ist weg, der Blick nach draußen trist. 

Der Dezember wiederum brachte Schnee, die Weihnachtsbeleuchtung. Wir hatten Besuch, sind Schlitten gefahren, waren auf Weihnachtsmärkten. Ich hatte so ein richtig kindlich aufgeregtes Gefühl in Bezug auf Weihnachten. „Madita, es schneit“, ruft es in meinem Kopf, wenn ich an die Schneeberge denke, die wir in Stockholm gesehen haben letzten Winter. Ich habe diesen Teil des Winters geliebt, so circa bis März – ab dann zog er sich in einer immer gleichen grauen Tristesse wie Kaugummi.

Bis Mai hatten wir Schnee, immer wieder mal. Meine Kinder trugen durchgehend von Oktober bis Mai den Schneeanzug! Die kälteste Temperatur, die wir hatten, waren minus 18 Grad! Das war nur an ein, zwei, drei Tagen (im Dezember und Januar) der Fall, aber insgesamt ein Erlebnis, das ich nicht vergessen werde.

Schwierig fand ich auch, keinen Frühling zu haben. 
Ich erinnere mich, dass ich noch vor einigen Wochen geglaubt habe, die Bäume werden hier nie wieder grün. Es hat bis Anfang Juni nichts geblüht! Kein Grashalm war grün, kein grünes Blatt am Baum. Darauf hatten mich die Schwed:innen zwar vorbereitet. Weh getan hat es trotzdem, es fehlte das für April mir so bekannte Gefühl des Neuanfangs, der Helligkeit, der ersten warmen Tage, die bunten Blüten. 

Aber wir wurden mit einem wundervollen Mai belohnt, plötzlich, also wirklich binnen einer Woche, war alles grün, und auch im Juni hatten wir schon fantastisches Wetter, konnten sogar in den Schären schwimmen! Die letzten beiden Monate haben nach dem gefühlt unendlichen Winter ein Gefühl in mir ausgelöst, dass einerseits die Bedingungen im Norden zwar rough sein können (und ich weiß nicht, ob ich mir vorstellen könnte, mich dem Wetter und der Dunkelheit hier oben permanent auszusetzen), aber dass es andererseits unbeschreiblich fantastisch hier ist, wenn die Sonne scheint und es hell und warm ist. 

Jetzt rede ich schon eine ganze Weile über das Wetter. 
Das mal außer acht lassend, geht es mir, geht es uns in Stockholm unbeschreiblich gut. Es ist zugänglich. Unserem Leben in Deutschland ähnlich. Ein „Kulturschock“ fand nie statt. Die Leute sprechen sehr gut englisch, ich hatte noch nirgends bislang eine „language barrier“. Egal ob ich zur Post gehe oder bei der 1177 (der medizinischen Hilfshotline, bei der man in der Regel immer zunächst anruft und fragt, welchen Arzt man am besten aufsuchen soll) anrufe, ob ich ein Konto eröffnen oder einen Tisch im Restaurant buchen will oder in der KiTa Entwicklungsgespräche führe: Englisch ist allseits präsent. Zwar lerne ich (sehr schleppend und irgendwie zu sehr nebenbei) schwedisch, aber zu wissen, dass ich mit Englisch hier eigentlich weit komme, macht das Auswandern nach Schweden sehr einfach. 

Stockholm als Stadt ist auch nach einem Jahr noch absolut spannend zu entdecken. Der Standard in den Restaurants ist hoch, es gibt viele, und die sind ausnahmslos gut, die Freizeitmöglichkeiten mit Kindern (und auch ohne) sind nahezu unendlich. Das Leben findet hier viel mehr draußen statt als ich es aus Deutschland kenne – Motto: Schlechtes Wetter gibt es nicht. An die unglaublich schönen Spielplätze habe ich mich längst so sehr gewöhnt, dass mir erst woanders auffällt, wie verwöhnt wir sind von Cafés, Toiletten und Indoor-Bereichen auf vielen Spielplätzen, von der Vielzahl an Streichelzoos, großen grünen Oasen „mitten in der Stadt“ (, die sich oft mehr anfühlen wie „mitten in der Natur“). Die Kinderfreundlichkeit in den Museen, Cafés und Restaurants ist ausgeprägt, es gibt überall Kinderstühle, Wickeltische, Kindermenüs. 

Und was sind nun die Nachteile, was stößt mir hier oben negativ auf? 
Stichwort Restaurant und Kinderfreundlichkeit. Es gibt einen Punkt, der mir in Schweden täglich negativ auffällt. Und das ist die Bildschirmnutzung / Vielzahl an Handys und Tablets, die hier oben im Einsatz sind. In der Vergangenheit habe ich Leute schon vom „Japan Europas“ reden hören, wenn sie über Schweden sprechen; die Digitalisierung ist hier sehr fortgeschritten, und darauf sind die Schwed:innen stolz. Anscheinend so stolz, dass sie gar nicht in Frage stellen, ob sie ihrem einjährigen Kind ein Handy in die Hand drücken, während sie es im Kinderwagen herum schieben. Ich beobachte täglich Situationen, die ich so aus Deutschland – Moment, ich formuliere es besser anders: aus „meinem alten Leben in Frankfurt“ – so nicht kenne. Vater und dreijähriger Sohn im Café, beide mit Kopfhörern und jeweils auf ein Tablet schauend – statt sich bei Kaffee und Kuchen auszutauschen. Klar, es sind immer nur Momentaufnahmen, ich kenne niemals die ganze Geschichte dahinter. Und vielleicht ist auch Stockholm nur eine Blase, die so nicht für das ganze Land gilt. Es ist bloß auffällig, wie viele Kinder (und oft schon sehr kleine) man in der Öffentlichkeit hinter Bildschirmen klebend sieht. Kinder im Restaurant sind zwar Gang und Gäbe – aber in aller Regel sitzen sie beim Essen hinter dem Tablet und essen, während sie fernsehen. Ich möchte das an der Stelle nicht tiefergehend verurteilen, frage mich nur doch immer etwas geknickt, warum man nicht „wie früher“ am Tisch redet, die Kinder ins Essen einbindet, die gemeinsame Zeit im Café nutzt zum Bonding, eine Aktivität draus macht.

Auch im Kindergarten werden Handys genutzt, manchmal „ertappe“ ich die Erzieherinnen dabei, wie sie Kinder, denen der Abschied von den Eltern morgens schwer fällt, ablenken, indem sie ihnen Handy-Videos zeigen. Das löst bei mir irgendwie einen Alarm aus; sollte es beim Betreuen doch mehr ums Begleiten der Gefühle gehen als um ein Ablenken davon.
Mein Eindruck auf den Punkt gebracht ist der – und das trifft gleichermaßen auf die Eltern-Kind-Beziehung sowie auf die Situation in Einrichtungen zu (auch das in Betracht ziehend, was mir Freund:innn aus ihren Einrichtungen erzählen): Die Kinder werden ruhig gestellt. Man sieht wenige laute, weinende, schreiende Kinder, die sich „irgendwie außer der Reihe“ verhalten. Es ist immer schnell ein Handy parat, mit dem das Kind stumm gestellt wird. Konflikte, starke Gefühle, ein „laut werden“ (auf beiden Seiten, also nicht nur ausgehend von den Kindern, sondern auch auf Elternseite) beobachte ich hier wirklich nicht.

Ganz anderes Thema, aber was mir noch auffällt:
Der Standard von Lebensmitteln im Supermarkt scheint (mir) in Schweden schlechter als in Deutschland zu sein. Bio Obst und Gemüse ist viel spärlicher verfügbar als ich es aus Deutschland kenne; von Läden wie Alnatura sind wir hier oben weit entfernt. Gemüse ist oft in Plastik verpackt; es gibt wenig Vollkornware, insgesamt erinnert mich das Supermarkt-Erlebnis an die USA oder Großbritannien. Es gibt wenige vegane Lebensmittel; die Schwed:innen scheinen alle Molkereiprodukte aus ihren Speisen nicht wegdenken zu können, ebenfalls kommt es mir so vor, als würde Fleischverzehr generell weniger in Frage gestellt zu werden. Das ist nur (m)ein Gefühl, meine Beobachtung im Supermarkt oder auf dem Spielplatz, wo standardmäßig gegrillt wird und zwar immer einfach ein Hot-Dog-Würstchen, das dann im trockenen Weißmehl-Brötchen serviert wird. In den Kitas wird den Kindern Milch zum Trinken zu allen Mahlzeiten serviert, auch eher zu meinem Missfallen. 

Noch zwei abschließende Punkte zu Kriminalität und Datenschutz.
Huch, woher kommt das nun, fragt ihr euch vielleicht. Tatsächlich ist ersteres ein Thema, auf das ich aus Deutschland (von Freunden und Bekannten) immer wieder mal angesprochen werde. Die Kriminalität steigt in Schweden seit Jahren, die Bandenkriminalität hier geht europaweit in die Führung. Vor kurzem wurde ein Mann an helllichtem Tage 500 Meter von unserer Wohnung entfernt erschossen. Also, ja, es wäre gelogen, zu behaupten, dass man nichts von der Kriminalität mitbekommt. Allerdings fühle ich mich dennoch nicht bedroht. In der Regel findet die Kriminalität weiter draußen statt. 

Zum Thema Datenschutz bin ich als Deutsche wahrscheinlich grundlegend anderes gewöhnt als hier in Schweden gelebt wird. Hier sind personenbezogene Informationen für jede:n zugänglich. Mit einem einzigen Klick lässt sich ergooglen, wo jemand lebt, mit wem er dort lebt, in welchem Stock er/sie lebt, welchen Kaufwert die Wohnung hatte zum Zeitpunkt des Kaufes… Es ist gruselig, wenn man das zum ersten Mal sieht (und auch danach noch für mich immer wieder verwirrend)!

Und jetzt mache ich mal langsam einen Punkt. 
Wer aufmerksam gelesen hat, erinnert, dass ich am Anfang schrieb, dass ich nochmal auf den größten “pain point” zurückkomme. Der liegt tatsächlich darin, dass wir uns hier so gut eingelebt haben, ein neues System geschaffen haben, unser neues Dorf gefunden haben. Das Alte verschwindet langsam aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Kinder fragen immer weniger nach alten Freundinnen, erinnern den Namen der alten Kindergartengruppe nicht mehr. Unsere Babysitterin, die meine Kinder kennt, seitdem die Große ein Jahr alt ist (und die Kleine demnach seit Geburt), ist nicht mehr so oft Thema. Wir haben eine neue Babysitterin, und für die Kinder ist diese jetzt eben Thema. 

Es ist gut so, alles wie es ist, traurig wäre es ja, wenn es andersrum wäre, und meine Kinder dem alten Leben hinterher trauern würden. Ich selbst halte Kontakt mit meinen alten Freunden, aber auch hier fehlen einem natürlich Bezugspunkte, Themen aus dem Alltag. Es fühlt sich so an, als würde alles, was vor Juli 2023 gewesen ist, mehr und mehr an Farbe verlieren, die Erinnerungen verblassen, zumindest für meine Kinder. Sie aufrecht zu erhalten kostet Geld (für Besuche), Zeit und Mühe. Und so nehme ich einerseits natürlich sehr gerne wahr, dass Schweden für uns immer mehr Sättigung und Schärfe annimmt; das alte Leben, das ja keineswegs schlecht war, hingegen aus dem Fokus gerät.

Wo die Reise hingeht: weiß aktuell niemand. Wie lange wir hier bleiben, ebenfalls nicht. Ich bin sehr dankbar und froh, den Schritt gewagt zu haben. Aber würde in mancherlei Hinsicht auf ganz naive Weise gerne irgendwie mehr das Neue an das Alte binden. Für Farbintensität in beiden Welten, weil sie eben beide eine so große Bedeutung für mich haben. 

Ich bedanke mich bei euch für’s Lesen. Wer selbst einmal umgezogen oder gar ausgewandert ist oder eine Zeitlang im Ausland gelebt hat, versteht meine Gefühle vielleicht. Wer mag, schreibt mir sehr gerne seine Gedanken zum Text per Mail oder via Direktnachricht bei Instagram

Liebst,
Lea Lou

Author

Hey, ich bin Lea Lou, Food-Fotografin, Content-Kreateurin, Mama und Yoga-Lehrerin.

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