Alles fing mit den Huskys an. Oder, noch etwas weiter gedacht: mit dem 5. Geburtstag meiner Tochter. Der ist im Februar, und seit wir im letzten Sommer von Deutschland nach Stockholm gezogen sind, wünscht sich das Winter-Mädchen nichts mehr, als an ihrem Geburtstag „zu den Huskys“ zu fahren. Und wie das mit Kinderwünschen so ist: Man kann sie ihnen nur schlecht ausschlagen. Zum Glück hatte ich mich mindestens genauso in die Idee eines Wochenendes im Schnee, bei den Huskys, mit Nordlichtern am Himmel verliebt. Und so machten wir Eltern uns an die Planung dieses Erlebnisses, das uns – wir ahnten ja nichts! – salopp gesagt: komplett von den Socken hauen würde.

Kiruna, Schweden

Zunächst einmal galt es gefühlt hundert Fragen zu beantworten, allen voran: Wo fahren wir (ohne Auto) überhaupt hin? Wie kalt wird es werden, und welcher Monat eignet sich am ehesten, sowohl was die Temperaturen angeht, aber auch bezüglich der Chancen, Nordlichter zu sehen. Wir recherchierten, lasen, fragten im neuen Bekanntenkreis herum. Und stellten schnell fest: So üblich ist das gar nicht, was wir vorhatten, weder unter den Schwed:innen selbst – noch für Familien mit (kleinen) Kindern. 

Kiruna, Schweden

Wir ahnten jedoch: Aus der Sache kamen wir so schnell nicht wieder raus, und so entschieden wir uns, zunächst das Gerüst aufzustellen, bevor es an die Detailplanung ging. Wir legten ein Wochenende Mitte Februar fest, kurz vor dem Geburtstag, bei im Schnitt minus 10 Grad und mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Polarlichter. 

Mein Mann, beauftragter Reiseplaner der Familie, suchte eine Unterkunft heraus, die mir auf Anhieb gefiel. Das Aurora Camp Kurravaara, 30 Autominuten von Kiruna entfernt, nur eine Stunde von Abisko, angepriesen als der „beste Ort der Welt“, um Nordlichter zu sehen. 

Kiruna, Schweden

Zufällig kündigte sich meine Schwester für genau dieses Wochenende an, und so entschieden wir kurzerhand, dass sie uns auf die Reise begleiten würde. Es war Mitte Januar, der Flug von Stockholm nach Kiruna gebucht, die „Riverside Cottage“ mit eigener Sauna im Camp Kurravaara ebenfalls, und die Vorfreude auf dieses Abenteuer wuchs, bei uns allen. 

Gleichzeitig konnten wir uns immer noch kaum vorstellen, was uns da erwartete. Und: ob alles so klappen würde wie gewünscht? Aus unseren ersten Wintermonaten in Stockholm bei teilweise minus 18 Grad konnte ich bereits das Resümee ziehen, dass meine kleine Tochter, 2,5 Jahre alt, den Winter NICHT mag. Was, wenn die Huskyschlitten-Touren wirklich nur Kinder mitnehmen, die älter als drei, bei manchen Anbietern sogar vier Jahre alt sind? Was ziehen wir den Kindern an, und machen sie beim Anziehen mit? Im Kleingedruckten des Aurora Camp Kurravaara lasen wir (natürlich nach dem Tätigen der Buchung), dass unsere Hütte nicht mal über einen Wasseranschluss verfügt. „You may shower the traditional Swedish way“, stand dort – später stellen wir fest, was das bedeutet. Nämlich: nach der Sauna einmal durch den Schnee rollen. 

Kiruna, Schweden

Euphorisch, aber auch ein Spur nervös traten wir unsere Reise an. Freitag Nachmittag, 13.45 Uhr Abflug nach Kiruna, um 15 Uhr landeten wir – in einer anderen Welt. 

Bereits die 30 Meter vom Flugzeug zur Ankunftshalle fühlten sich an wie einmal auf einem anderen Planeten gelandet. Die Taxifahrt zum Camp verstärkte diesen Eindruck noch. So viel Schnee habe ich noch nie gesehen. Es war alles weiß. Unsere Straße, unter der Schneedecke kaum zu sehen, führt durch einen Wald, jeder Baum war von einer dicken Schneeschicht eingehüllt. Nach rund 20 Minuten Fahrtzeit und nachdem wir unseren Taxifahrer überzeugen konnten, noch kurz im Supermarkt anzuhalten, um für das Wochenende einzukaufen – denn wie sollten wir sonst an Essen kommen; unsere Hütte liegt kilometerweit entfernt von jeglicher Zivilisation – , bogen wir, jetzt mit drei Tüten Lebensmittel im Kofferraum, von der Straße ab, einem Schild folgend mit der Aufschrift „Aurora Camp Kurravaara“. Es wurde ringsum noch weißer, wir ruckelten über einen Waldweg, mitten durch endloses Weiß. Es war kein Haus zu sehen, geschweige denn eine Menschenseele. Der Himmel kündigte schon die Dämmerung an, da sah man zum ersten Mal einige Meter vor uns, hinter einer Kurve, ein anderes Auto auftauchen. Unser Fahrer hielt an, fuhr rückwärts zurück. Keine Chance, dass auf diesem Weg zwei Autos aneinander vorbei kommen. Wir fuhren ca. 5 Minuten den Waldweg zurück, ließen das Auto vorbei, uns so wiederholte sich das Prozedere noch zwei, drei Mal, bis wir schließlich dort ankamen, wo wir hin wollten: im Aurora Camp Kurravaara. 

Kiruna, Schweden

Da: war niemand zu sehen. Mittlerweile war es kurz vor 17 Uhr, quasi dunkel, eine Handvoll roter Schwedenhäuschen standen um einen kleinen Platz verteilt, kein Licht erleuchtet, keine Menschenseele in Sicht. Ich wurde ein bisschen nervös: Unsere Kinder hatten den Trip bis dahin unfassbar gut mitgemacht, selbst den kurzen Stop im Supermarkt konnten wir mit einer Lolli-Bestechung in Windeseile hinter uns bringen. Die Kinder waren müde, angestrengt vom Flug und der Autofahrt. Für einen kurzen Moment stand ich dort und fragte mich ernsthaft, ob wir irgendwas vermasselt hatten. Hätten wir uns ankündigen sollen; bzw. das hatten wir doch getan? Ich schaute schnell durch den Emailverkehr, ja, richtig, wir hatten uns gegen die morgendliche Frühstückstüte an der Haustür und das abendliche gemeinsame Essen entschieden und genau angekündigt, wann wir anreisen würden. 

Ich wähle eine Nummer, lande nicht bei der Hotelrezeption, sondern bei der „Kiruna Tour Guide AB“, dachte mir doch schon fast, dass hier oben alles irgendwie zusammen gehört, das Ganze touristischer angelegt ist als ich mir vorab vorgestellt hatte. Der Tour Guide am anderen Ende der Leitung behauptet, dass er nicht wüsste, wer gerade vor Ort ist, er kläre das. Kurze Pause, wir laden die Koffer aus dem Auto aus, etwas müde, genervt und mit einem Fragezeichen im Gesicht, was wohl als nächstes passiere. Da hören und sehen wir aus dem Dunklen ein Snow Mobile näher kommen, eine junge Frau steigt ab, sie strahlt und heißt uns herzlich Willkommen im Aurora Camp Kurravaara. „It’s a big camp, I’m sorry“, lacht sie, und in mir erwacht ganz plötzlich das Gefühl, das ich mir für dieses Wochenende so sehr erhofft, gewünscht hatte: dass ich genau da bin, wo ich sein will, mich voll auf dieses Winterwochenende einlasse.

Die Frau packt unsere Koffer auf das Snow Mobile und bietet an, uns zu unserer Hütte zu fahren. Mein Mann und die große Tochter steigen auf, ich will mir lieber kurz die Füße vertreten, nehme meine kleine Tochter in die mitgebrachte Kraxe und spaziere mit meiner Schwester los zu unserer Hütte. Einmal in den Wald hinein, der Boden knirscht unter den Füßen wie ich Füße im Schnee noch nie habe knirschen hören. Unser Umfeld erschließt sich uns zu dem Zeitpunkt noch gar nicht so richtig; mittlerweile ist es stockdunkel, wir sehen ein paar Holzhütten drumherum, ansonsten nur Schnee und Bäume. Wir hören: nichts. Es gibt kein Geräusch hier unter dem freien Himmel außer unsere Füße, die im Schnee knirschen. 

Kiruna, Schweden

Wir kommen an bei unserer Hütte, der Riverside Cottage: eine rote Blockhütte mit zwei Schlafzimmern, einem Wohn- und Essbereich, einer kleinen Küche und einem abgetrennten Raum, in dem sich ein Plumps-Klo befindet. Die freundliche Frau, die ständig laut in die Nacht hinein lacht, zeigt und erklärt uns alles: Wasser entnehmen wir Kanistern, die in der Hütte bereit stehen, mit diesem Wasser werden wir uns in den nächsten Tagen die Zähne putzen, Geschirr spülen, Hände waschen, Tee kochen und Nudelwasser aufsetzen. Zum Plumpsklo erklärt sie noch, dass man sich weit nach hinten setzen müsse, damit sich die Toilette nach unten öffnet und Ausscheidungen nicht etwa in der Toilette liegen bleiben. „I suggest you help your children“, erklärt sie – aber ja, natürlich hatten wir im Laufe des Wochenendes ein, zwei Pumpsklo-Unfälle. Eine Erfahrung, die ich so schnell nicht wieder brauche. Auch, dass die Toilette zwischen Freitag und Sonntag kein einziges Mal geleert wurde, obwohl drei Erwachsene und zwei Kinder sie permanent nutzten, bleibt mir eine Erinnerung, auf die ich gerne verzichtet hätte. (Zur Info: Es gibt eine Gemeinschaftstoilette mit Wasseranschluss, die war bloß von unserer Hütte zu weit entfernt, um jedes Mal dahin zu gehen.)

Wir verbringen den Freitag Abend damit, unsere eigene Sauna einzuheizen, zu saunieren, uns danach bei minus 15 Grad im Schnee zu wälzen und auf unser Kiruna-Wochenende mit einem Glas Weißwein und einer Käseplatte am Kamin anzustoßen. Es ist richtig gemütlich hier, und ich freue mich so wahnsinnig auf den nächsten Tag, von all dem hier mehr zu sehen!

Kiruna, Schweden

Der nächste Morgen kommt, wir erwachen in der Dämmerung, überzeugen die Kinder, schon vor dem Frühstück Schneeanzüge & Co. anzuziehen, um den Sonnenaufgang vom zugefrorenen Fluss aus anzuschauen. Die Luft ist kalt, aber nicht so kalt wie erwartet, was wir der geringen Luftfeuchtigkeit hier oben im Norden zu verdanken haben. Unsere Hütte ist die letzte vom Land aus gesehen, wir sind quasi umringt von Ausläufern des Torneträsk-Sees, dem sechst größten See Schwedens. Torneträsk friert in den Wintermonaten komplett zu, bis zu sieben Monate lang. Die Schwed:innen hier im Norden nutzen ihn dann wie eine zusätzliche Verkehrsstraße, bloß dass statt Autos eben Schneemobile, Huskyschlitten und Langlaufskier als Transportmittel dienen. 

Von unserer Hütte aus sehen wir Iglus und ein Schnee-Rondell, das als Startpunkt der vielen Touren dient, die das Aurora Camp anbietet: Schneeschuh-Touren, Schneemobil-Ausflüge, außerdem kann man von hier aus super die Nordlichter sehen, sofern sie sich denn blicken lassen. Letzte Nacht war es zu bewölkt, doch die Wettervorhersage für heute, Samstag, und Sonntag könnte besser nicht sein: strahlend blauer Himmel, keine Wolke zu sehen, minus 10 Grad. Wir haben so wahnsinnig viel Glück! Eine Woche vorher waren es hier oben tagsüber minus 30 Grad, ich will mir gar nicht ausmalen, wie diese Reise komplett ins (Eis-)Wasser gefallen wäre, weil meine Kinder bei minus 30 Grad wahrscheinlich dann doch gestreikt hätten.

Kiruna, Schweden

Wir stehen auf dem See, in einigen hundert Metern Entfernung donnern die ersten Schneemobile des Tages vorbei. Hier, am Ufer des Aurora Camp Kurravaara, ist es still, wir haben noch immer keine Menschenseele gesehen. Die Sonne geht über dem Wald am Horizont auf, wirft ein goldenes Licht auf den Schnee, auf die Iglus, von denen wir umgeben sind, gebaut vom Camp, tatsächlich mit der Idee, dass Gäste darin schlafen können. In einem Zelt aus Eis! Auf einer meterdicken Eisschicht, auf einem zugefrorenen See. Wie noch so oft an diesem Wochenende muss ich breit grinsend den Kopf schütteln, weil das, was wir hier sehen und erleben so anders ist als alles, was ich an Winter bislang erlebt habe. Für eine Nacht im Iglu stellt das Camp Schlafsäcke zur Verfügung; interessanterweise wird es im Iglu selbst nicht kälter als 0 Grad, egal, ob es draußen nun minus 10 oder minus 30 Grad sind. Bei 0 Grad zu schlafen: reizt mich nicht so sehr, ich bin froh über unsere wunderbar gemütliche Cottage. 

Kiruna, Schweden

Wir laufen ein paar Meter auf dem Eis umher, die Kinder spielen in den Iglus, mein Mann bringt Kaffee, und so stehen wir dort mitten auf dem See, halten die Gesichter in die Sonne und sind so glücklich wie sehr lange nicht.  

Den Rest des Tages haben wir nicht viel vor. Unsere Huskyschlittentour findet erst morgen statt; für den Abend haben mein Mann und ich eine Schneemobil-Tour geplant, ohne Kinder, das wäre mit Anhang nicht umsetzbar gewesen. 

Kiruna, Schweden

Wir machen einen sonnigen Spaziergang auf dem zugefrorenen See, ein Kind in der Kraxe, das andere auf dem Schlitten – kommen hier aber an die Grenzen der Kinder, denen es ohne Bewegung doch recht bald zu kalt wird. Einige Tränen später – trag’ halt mal zwei ca. 20-Kilo-schwere Menschen über Eis bzw. durch stellenweise kniehohen Schnee – kommen ziemlich geschaffte Eltern und eine müde Tante wieder im Camp an. In der Hütte heizen wir Kamin und Sauna ein, kochen „Knatsch-Kartoffeln“ mit Hummus, Avocado und Rührei, lesen, spielen, wärmen uns auf in der Sauna und erkunden per Schlitten noch ein wenig unser Camp. Drei Gemeinschaftssaunen gibt es dort, süße Holzhütten, die sich zwischen die Hütten der anderen Gäste reihen. Hier vorne, im Zentrum des Camps, sehen wir endlich mal Leute: einen Franzosen, der fragt, ob er in der Sauna nochmal nachheizen soll, falls wir sie nach ihm nutzen wollen; mehrere Paare und eine etwas größere Erwachsenengruppe. Keiner sonst ist hier mit Kindern, und ich kann es niemandem verübeln. 

Kiruna, Schweden

Es ist: ein Knochenjob. Kinder anziehen, ausziehen, Pipi-Pause hier, Hunger, Durst und kalt da. Für uns klappt es – mit Ausnahme des Spaziergangs – bislang super, was auch damit zusammenhängt, dass wir zu dritt sind. Jeder hat mal eine Verschnaufpause zwischendurch, wenn die anderen zwei sich um die Kinder kümmern. 

Wir machen eine Teepause im Gemeinschaftsraum, stapfen dann noch durch den Schnee auf die andere Seite des Camps, dort, wo die „Aurora Huts“ angesiedelt sind, Glas-Hütten, ebenfalls mitten auf dem See, umgeben von nichts, um hier vom Bett aus die Nordlichter beobachten zu können. Wieder muss ich lachen. Es ist und bleibt eine andere Welt für mich hier oben. Und: es sieht so wahnsinnig gemütlich aus. 

Kiruna, Schweden

An diesem Abend haben wir uns für das gemeinsame Abendessen entschieden, unter anderem aus dem Grund, dass die Lebensmittel, die wir in Windeseile im Supermarkt zusammen geworfen haben, schon fast aufgebraucht sind. Es gibt ein vegetarisches, sehr wärmendes Eintopf-Gericht und für die Fleischesser:innen eine Art Gulasch, wir sitzen auf Bierbänken in einem einfachen Raum, der – wie überall in Schweden – mit Lichterketten geschmückt wurde. Ein Feuer lodert im Kamin, wer möchte, trinkt Wein, es sind noch eine Handvoll andere Leute hier, und wir sind dankbar für ein so warmes, leckeres Essen an diesem Ort, der uns mehrmals heute die Kälte bis auf die Knochen hat spüren lassen. 

Kiruna, Schweden

Nach dem Abendessen machen wir die Kinder bettfertig, meine Schwester bringt sie ins Bett, mein Mann und ich werden um 19 Uhr abgeholt, um unsere Aurora-Licht-Expedition zu starten. Im Nachhinein ist es fast witzig, wie ich dort, im Auto zum Treffpunkt, noch gebangt habe, dass wir überhaupt Polarlichter sehen werden. Meine Erwartungen waren mittlerweile ziemlich niedrig, zumal jede:r, die/den man zu dem Spektakel am Himmel befragt, nüchtern erklärt, dass es nicht ganz so aufregend ist, wie man es sich vorstellt. 

Bevor unsere 4-stündige Schneemobil-Tour losgeht, müssen wir zwei Schneeanzüge übereinander anziehen, dicke Winterstiefel, Handschuhe, Schalmützen, Helme: alles bereit gestellt von unseren Tourguides. Wir bekommen eine Einweisung ins Schneemobilfahren und machen uns gegen 20 Uhr mit einer Schneemobil-Schlange aus ca. 15 Fahrzeugen los in die Nacht, über die zugefrorenen Ausläufer des Torneträsk Sees. Ein absolut unbeschreibliches Gefühl, ein ziemlich unbequemes auch, tragen wir doch gefühlt zwanzig Lagen Kleidung übereinander und einen Helm, der die Sicht einschränkt – aber ohne Schutzschild vor den Augen hatte ich das Gefühl, mir friert das Gesicht ein. Kalt ist es jetzt noch nicht, erst zwei, drei Stunden später werde ich fühlen, wie die Kälte doch langsam, aber sicher die Klamottenschichten durchdringt. Wir brettern über den Fluss, vorbei an einsamen Häusern, die – wie so typisch für Schweden – allesamt wunderschön eingerichtet und mit Lichterketten geschmückt sind. Im Sommer muss es hier so wahnsinnig schön sein; im Winter, jetzt, hier, in der tiefschwarzen Nacht, fühlt es sich für mich wieder einmal an wie ein anderer Planet. Wir fahren und fahren, immer weiter weg von jeglicher Zivilisation, unsere Orientierungshilfen sind kahle Äste, die wie Straßenpoller alle zig Meter in den Schnee gesteckt sind. 

Kiruna, Schweden

Die ersten Polarlichter hatten wir vom Schneemobil aus längst gesehen, nur klein und angedeutet, aber sie waren definitiv da. Je weiter wir in die Nacht fahren, weg von den Häusern und Lichtern, umso deutlicher werden sie. Es mag die Uhrzeit sein – anscheinend zeigen sich Polarlichter am besten zwischen 21 und 23 Uhr am wolkenfreien Himmel – oder der Fakt, dass wir mittlerweile, ca. eine Stunde, nachdem wir losgefahren sind, wirklich komplett im Nirgendwo unterwegs sind. Ich öffne kurz vom Schneemobil aus Google Maps auf meinem Handy und mache mit der Hand, die ohne Handschuh in Sekundenschnelle eiskalt wird, schnell einen Screenshot von unserem Standort. Wir befinden uns einige Kilometer entfernt vom Fluss, auf dem wir gestartet sind, auf einem Feld, das an einen Wald grenzt, durch den wir einige Minuten später unsere Tour fortsetzen werden. 

Kiruna, Schweden

Die Nordlichter tanzen über uns. Der ganze Himmel, in Richtung Norden schauend, ist durchzogen von hellgrünen Schlieren. Die Sterne sind ebenfalls so wahnsinnig klar sichtbar, ich habe noch nie zuvor so viele, so klare Sterne gesehen. Wir halten an, und wie vorab geübt, schalten alle Fahrer:innen die Motoren der Schneemobile aus. Es ist mucksmäuschenstill. Und wieder komme ich um mein absurdes Grinsen nicht rum. Da stehen wir, wie auf dem Mond gelandet, umgeben von Schnee, so weit das Auge blicken kann. Wir sehen kein Licht mehr, das auf Zivilisation hindeutet, das einzige Licht ist die Aurora über uns, das Funkeln der Sterne und der Schnee, der das wenige Licht auf sonderbare Weise zurück wirft in die Luft. 

Ich hatte vorab am Treffpunkt meine Kamera auf die Gegebenheiten der Nacht eingestellt, wusste, wie ich ISO, Blende, Belichtungszeit und Fokus einstellen muss, um die Nordlichter optimal einfangen zu können. Sogar mein Stativ hatte ich umgeschnallt, doch es jetzt hier im Schnee aufzustellen, war keine Option. Meine Hände wurden so eisig kalt, dass ich kaum mehr auslösen konnte, sobald ich die Handschuhe zum Fotografieren nur zwei, drei Minuten auszog.

Fotos gelangen mir trotzdem, zumal sich die Nordlichter in der kommenden Stunde nur noch verstärken sollten. Auch für das bloße Auge war es eine Freude zuzusehen; selbst unsere Tourleiterin gab zu: „You don’t usually gut as much as this“. Wir hatten, wieder einmal, so viel Glück gehabt. Ich konnte mein eigenes Glück, hier, unter dem weiten, freien Himmel, kaum fassen. Mein komisches Grinsen kündigt sich wieder an, mittlerweile habe ich es als Mix aus Dankbarkeit, Staunen und bloßer Begeisterung eingestuft. Ich wusste nicht genau, wie ich mir unser Wochenende im Norden vorstellen sollte. Aber dass es SO atemberaubend wird, hätte ich mir nicht im Ansatz ausmalen können. 

Wir fahren weiter, langsam wird es kalt, ich werde müde, denke an meine Schwester, die zu Hause auf die Kinder aufpasst. Per Whatsapp hatte sie geschrieben, dass sie die Nordlichter auch von unserer Hütte aus sehen kann. Immerhin, denke ich, denn irgendwie ist es natürlich doch blöd, dass wir diese Erfahrung machen konnten, sie aber nicht (Hinweis dazu: sie wollte nicht auf’s Schneemobil, von daher war die Aufteilung nur fair). Nach einer gefühlten Ewigkeit hielten wir an für eine Kakao- und Kuchenpause, da war es 22 Uhr, ab da ging es weitere zwei Stunden zurück zum Abfahrtsort, ich bin mittlerweile hauptsächlich müde und ganz schön k.o. von all den Eindrücken, die Kiruna bislang für uns breit gestellt hatte. Kalt wurde es jetzt außerdem, ich bewege unaufhörlich Zehen und Finger, um mich aufzuwärmen. 

Als wir um 00.30 Uhr zurück zu unserer Cottage im Camp durch den Schnee stapfen, können wir die Nordlichter weiterhin am Himmel sehen. Ein Teil von mir wäre gerne noch einmal auf den Fluss gelaufen, um von Bäumen ungestörten Blick auf den Himmel zu haben; doch der Teil, der kalt, müde und erschöpft war, siegt und so falle ich unsagbar glücklich, aber auch unsagbar erschöpft gegen 1 Uhr ins Bett.

Kiruna, Schweden

Am nächsten Morgen sind wir wieder früh wach. Heute ist nun wirklich der größte Tag unseres Kiruna-Abenteuers, vor allem unsere Tochter kann es kaum erwarten, endlich auf den Huskyschlitten zu steigen. Wir frühstücken Müsli, trinken Filterkaffee, packen die Koffer, checken aus unserer Hütte aus und fahren um 9 Uhr mit dem Taxi los in Richtung des Treffpunkts, an dem unsere Husky-Tour starten soll: beim Sweden Ice Hotel.  

Kiruna, Schweden

Wir ruckeln über den Waldweg zurück zur verschneiten Straße, voller Adrenalin von der gestrigen Erfahrung, freudig gespannt auf unser nächstes Abenteuer, da ruft meine Tochter von der Rückbank ein lautes „Mama, da!“ – und ich weiß sofort, was sie gesehen hat, in dem Bruchteil der Sekunde, den es dauert, meinen Kopf zu ihr umzudrehen, weiß ich, was da am Wegrand, zu dem sie zeigt, steht: ein riesiger Elch. Das Geweih so groß, dass es mich wundert, dass das Tier nicht umfällt, generell ist dieser Elch so überwältigend, dass ich absolut baff bin. Auch mein Mann sieht ihn kurz, meine Schwester leider nicht, wir haben nur diesen Bruchteil Elch im Visier, bevor wir hinter einer Kurve verschwinden und er wieder außer Sicht ist. Wirklich, in dem Moment bin ich so wahnsinnig aufgeregt, dass ich mein Herz quasi klopfen höre. Wie viel Glück wir haben, mit allem, dieses Wochenende. Es sollte einfach sein, alles sollte genau so sein, wie es gekommen ist. Nichts hätte schöner sein können bislang. 

Kiruna, Schweden

Nach 30 Minuten Fahrzeit kommen wir am Sweden Ice Hotel an, der nächste Ort, der mich aus dem Staunen nicht mehr rauskommen lassen wird. Ein Ort, der sowohl Gäste beherbergt und verpflegt als auch Kunst ausstellt, nämlich: Skulpturen aus Eis. Wobei das weniger spektakulär klingt als das, was man letztlich vorfindet: ein ganzes Hotel aus Eis gebaut. Jedes Zimmer und jede Suite ist aus Eis gehauen, von einer Vielzahl an Künstler:innen, die jedes Jahr über den Zeitraum von zehn Wochen das Hotel am Winteranfang wieder aufbauen. Denn natürlich fällt in den Sommermonaten alles in sich zusammen. Dieser riesig große Ort, bestehend aus einer Eis-Bar und den vielen, vielen Zimmern, schmilzt einfach nach jeder Saison!

Kiruna, Schweden

Doch jetzt erstmal haben wir keine Zeit zum Staunen, dürfen unsere Koffer an der Rezeption unterstellen und flitzen los zum Umziehen für die Huskyschlittenfahrt. Durch eine dicke Eismauer versteckt sehen wir sie noch nicht, aber hören gefühlt hunderte Hunde bellen. Wir sind spät, zu spät, um unsere Kinder ausreichend geduldig dabei begleiten zu können, sich über ihren Winteranzug noch einen zweiten Anzug, dicke Handschuhe und Stiefel, die – wie gestern Abend – bereit gestellt werden, anzuziehen. Meine 2,5-jährige Tochter streikt, sie liegt schreiend auf dem Boden und weigert sich, in die Klamotten zu schlüpfen. Ich fange an zu schwitzen. Wir wissen, dort hinter der Mauer wartet eine ganze Tour nur auf uns, auf meine Tochter, die eigentlich zu jung ist, um überhaupt mitkommen zu dürfen. Der Tourguide kommt, verdreht die Augen, als er meine trotzende Tochter sieht, handelt dann aber wirklich professionell und herzlich und erklärt: „She’s super young, it will be cold for her. I cannot take her on the sled without any of these clothes.“ Wir schwitzen weiter. Die große Tochter versteht das und ist kompromissbereit. Die Kleine: hat einfach gar keine Lust auf das, was ihre Eltern mit ihr vorhaben. Wir ziehen ihr – nicht ohne Protest, das muss ich an der Stelle zugeben –  Anzug, Schuhe und Handschuhe an, der Tourguide holt einen großen Fellsack und los flitzen wir, Kinder auf dem Arm, die schweren Stiefel an den Füßen, hindurch durch die Eismauer, raus auf den Fluss. Und da sind wir wieder: da, wo wir letzte Nacht mit den Schneemobilen vorbei gebraust sind, wird heute auch unsere Schlittentour sein. Diese Verbindung hatte ich bis dato gar nicht hinbekommen, jetzt renne ich hier, meine Tochter im Arm, auf dem Eis hin zu einer Handvoll Schlitten, vor denen unzählige laut bellende Huskys geschnallt sind. 

Kiruna, Schweden

Ein einziger Schlitten ist noch leer. Unser Fahrer gibt den anderen ein Zeichen, dass sie schon starten sollen, und so setzen sich in Windeseile mehr als 35 Hunde in Bewegung und ziehen die Schlitten auf dem Eis davon. Wir steigen auf, ich soll mit meiner kleinen Tochter ganz hinten sitzen, damit sie vom Fahrtwind geschützt ist. Vor uns sitzt mein Mann mit der großen Tochter, und meine Schwester hat die Pole Position ganz vorne auf dem Schlitten. Kaum sitzen wir und haben die Kinder sicher und warm, teils im Fellsack, untergebracht, setzt sich unser Schlitten in Bewegung. Die Hunde verstummen, sobald sie endlich mit dem Laufen beginnen dürfen, ich drehe mich noch schnell einmal um, um einen Blick auf die absurde Welt zu werfen, die wir soeben verlassen haben: das Hotel aus Eis. 

Kiruna, Schweden

Wir fahren über den Fluss. Ich sehe die Hunde von hier hinten leider kaum, aber habe meine Tochter im Arm, die sich an ihre neue Umgebung sofort gewöhnt hat und zum Glück nicht mehr weint. „It’s always like that“, lacht der Tourleiter. Er erzählt, dass er selbst drei Kinder hat und dass die allermeisten Kinder das Schlittenfahren lieben. Ich unterhalte mich mit ihm, unter anderem darüber, warum die Touren nur für ältere Kinder angeboten werden: „Simply because of the cold“, sagt er. Ob es denn nichts damit zu tun hat, dass die kleinen Kinder gegebenenfalls die Hunde zu sehr provozieren würden; „Oh no, the dogs love kids“. Er erzählt mir viel über seine Hunde, alle zwölf Huskys vor unserem Schlitten sind seine eigenen, er arbeitet seit 20 Jahren mit den Tieren. Ich frage ihn ziemlich aus über die Hunde, teils sehr kritisch, muss ich zugeben, ob denen das nicht zu anstrengend ist, was sie essen, wie viel sie rennen (müssen), wie viel Pause sie bekommen. Am Ende meines Interviews bin ich beruhigt. „We wouldn’t make the dogs do something they don’t love.“ Laut unserem Tourguide sind die Huskys zum Rennen geboren, ein Schlittenhund kann bis zu 150 km am Tag rennen! „Unsere“ Hunde machen ein, maximal zwei Touren am Tag, sie bekommen davor und danach Essen; alles scheint, sofern ich unserem Tourguide trauen kann, fair und tierfreundlich abzulaufen. 

Wir fahren über den Fluss in Richtung Wald, den ich von gestern Abend wieder erkenne. Es ist nicht anders als wunder-, wunder-, wunderschön zu beschreiben. Der Himmel blau und ohne eine einzige Wolke, rings um uns schneebedeckte Bäume, Schlitten-Schneisen im Schnee, in denen die Huskys laufen und die Schlitten stumm vor sich hin gleiten. „You may spot deers or moose around here“, sagt der Tourguide, aber leider lassen sich heute keine Elche oder Rentiere blicken. 

Wir fahren etwa eine halbe Stunde mit dem Schlitten durch die Natur, bis wir eine Holzhütte sehen und die anderen Schlitten vor uns langsamer werden. Wir halten an: „‚We’ll have a Fika here.“ Na klar, kein Ausflug in Schweden ohne Fika, doch meine große Tochter ist noch nicht bereit, sich von den Hunden zu trennen. Sie darf näher kommen, die Hunde streicheln, alle sind ganz verspielt und lieb. Meine Tochter ist im Glück. Ich sehe es ihr an, es gibt nichts, was sie gerade lieber machen würde als hier, bei den Hunden zu sein. Sie strahlt meinen Mann und mich an und lässt sich vor lauter Gefühlen rücklings in den Schnee fallen, liegt einfach dort und strahlt in die Luft. Ich könnte weinen. Es macht mich genauso zum glücklichsten Menschen der Welt, sie so selig zu sehen. Erleben zu dürfen, dass auch dieser Teil unseres Wochenendes so wunderschön verläuft, auch wenn er im Vergleich zu allem anderen, was wir bislang erlebt haben, etwas holpriger gestartet ist. 

Kiruna, Schweden

Nach einigen Minuten gehen wir doch die paar Schritte zur Holzhütte rüber, öffnen die Tür und finden ein Kaminfeuer in der Mitte des Raumes, umgeben von Bänken, auf denen es sich die Tourteilnehmer:innen bequem gemacht haben. Es werden Tassen verteilt, gefolgt von Kaffee, Tee und für die Kinder Kakao. Wir bekommen ein Stück Kuchen. Es ist wieder: das maximale Glück. Mitten in Nordschweden, im tiefsten Winter, an diesem wunderschönen Tag, eine Hütte, Feuer, Kakao. Meine Familie, wir. Hier. Ich weiß, dass dieses Abenteuer keins ist, das ich immer wieder erleben werde, und genau diese Sichtweise macht unseren Trip hier im Norden so besonders. Ich sitze da am Feuer, sauge das alles auf, habe meine Kinder auf dem Schoß, einen warmen Kaffee im Bauch. Ich bin so dankbar, wie ich es lange nicht gefühlt habe. Und so stolz auf uns, meine Mädchen, meinen Mann und mich, dass wir trotz all der Hürden, trotz dessen, dass das so gar nicht die typische Reise mit Kindern ist, unbedingt wollten und es einfach gemacht haben. Mit meiner Schwester an der Seite. Mit so viel Glück, was die Umstände angehen: das Wetter, die Leute, denen wir begegnet sind, einer höheren Kraft, die uns mit außergewöhnlich schönen Nordlichtern beglückt hat.

Kiruna, Schweden

Die Schlittenhunde ziehen uns zurück zum Ice Hotel, wir dürfen noch eine Runde Hunde knuddeln bevor wir uns verabschieden. Drinnen streifen wir uns die Kleidung vom Körper, sind hungrig von all der frischen Luft, von den Abenteuern, die sich aneinander reihen. Wir besuchen die Lounge des Hotels, bestellen Sandwiches, Kaffee, Saft und wärmen uns auf. Zwischen all den verrückten Orten, die wir dieses Wochenende gesehen und erlebt haben, tut es hier auf eine auch wieder absurd lustige Art und Weise gut, in einer ganz normalen Hotel-Lounge zu sitzen. Zugang zu Essen und Trinken auf Bestellung, eine Toilette mit Warm-Wasser-Waschbecken im Badezimmer daneben. Wir essen gierig und lassen die Sonne, die durch die riesigen Fenster der Lounge scheint, in unsere Gesichter scheinen. 

Bald ist es Zeit für unseren Weg zurück zum Flughafen. Wir toben noch eine Runde auf der Eisrutsche des Ice Hotels, laufen durch die Eis-Zimmer, klettern in der Eis-Bar herum. 

Ich bin von so viel Glück langsam ganz schwindelig im Kopf. Freue mich auf den ganz alltäglichen Komfort unserer Stockholm-Wohnung; gleichzeitig fühlt es sich hier, umgeben von Eis und Schnee noch immer so an, als müsste ich mit dem Flugzeug noch zurück auf einen anderen Planeten fliegen, um wieder im normalen Leben anzukommen. 

Kiruna, Schweden

Um 16:30 Uhr startet unser Flugzeug vom Flughafen Kiruna in den Himmel. Draußen vor dem Fenster geht eine tiefrote Sonne über der weißen Schneelandschaft unter. Ich habe den Fensterplatz, die Kinder dürfen iPad schauen. Wir alle müssen das Gesehene verarbeiten, keiner hat mehr auch nur einen Funken Energie, weder im Kopf, noch im Körper. Ich sehe der Sonne zu, wie sie untergeht, schaue runter auf diesen besonderen Fleck Erde, eingehüllt in eine dicke Puderzuckerschicht, weiß, so weit das Auge blicken kann. 

Im Traum hätte ich mir nicht ausmalen können, wie schön unsere Zeit hier oben werden würde. Das, was wir in Kiruna dieses Wochenende erlebt und gesehen haben, hat alle Erwartungen übertroffen, es war schlicht und einfach perfekt, ich kann es nicht anders betiteln. Ich bin mir sicher, ich war nicht das letzte Mal nördlich des Polarkreises unterwegs, zu besonders war hier die Natur, waren die Aktivitäten, ist das Licht, ganz einfach das Leben. 

Diese Reise wird für immer eine ganz besondere Erinnerung bleiben, und in mir bleibt ein Gefühl von Dankbarkeit und Stolz, dass wir sie als Familie gemeinsam erleben durften. 

Kiruna, Schweden
Author

Hey, ich bin Lea Lou, Food-Fotografin, Content-Kreateurin, Mama und Yoga-Lehrerin.

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